U.v.Beckerath

25.6.1954.

Herrn K. Walker. Berlin-Lichterfelde...

 

Sehr geehrter Herr Walker,

 

die Veroeffentlichung im Tagesspiegel" vom 16.6.54. ueber die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes in Sachen des "WIR" gab Veranlassung, die Angelegenheit in einem kleineren Kreise unter den Mitgliedern unserer Gesellschaft zu eroertern. Das Ergebnis war folgendes:

     

l.) Das Aufsichtsamt unterscheidet offenbar nicht zwischen Waehrung und Preisniveau. Das sind sehr verschiedene Begriffe. Zur UEberwachung der Preise sind die Preisbehoerden da. Das Aufsichtsamt ist dafuer nicht zustaendig. Wenn das Aufsichtsamt etwa behaupten wollte, dass Waehrung und Preisniveau dasselbe seien, so koennte ihm etwa folgendes erwidert werden:

Die Regierung trifft haeufig Massnahmen, die das Preisniveau beeinflussen. Der Zweck dieser Massnahmen ist: gerechte Preise zu sichern. Im Laufe des Juni wurden z. B. Vorschriften zur Einschraenkung des Imports von Lebensmitteln erlassen mit dem ausgesprochenen Zweck, den deutschen Lebensmittelproduzenten hoehere Preise zu sichern, als sie sonst erzielt haetten. Ob die Massnahme zweckmassig war, ist hier nicht zu eroertern. Gewiss ist, dass die von der Regierung angestrebte Preiserhoehung nicht inflatorischer Art war und nicht die Waehrung beeinflusst.

Im UEbrigen hat das Amt nicht das Recht, willkuerlich Definitionen aufzustellen. Das Amt hat die Richtigkeit seiner Definitionen zu beweisen und hat die Pflicht, wenigstens anerkannte Autoritaeten anzugeben, auf die es sich stuetzt.

 

2.) Die Bank deutscher Laender, die hier ein Gutachten abgeben soll, wuerde ihre Kompetenzen ueberschreiten, wenn sie das Gutachten abgaebe. Der Zustaendigkeitsbereich der Bank in Faellen wie dem vorliegenden ist: sich ueber  Tatsachen (einzelne Tatsachen!) zu aeussern, wie etwa den Dollarkurs zu einem bestimmen Zeitpunkt an einem bestimmten Ort, ferner: sich ueber Zustaende zu aeussem, wie etwa Gewohnheiten im Devisenhandel. Nicht Sache der Bank ist es aber, zu solchen Fragen Stellung zu nehmen, die wissenschaftlicher Art sind, wie gerade hier zum Unterschied zwischen Waehrung und Preisniveau. Allenfalls kann sich die Bank gutachtlich ueber den herrschenden Sprachgebrauch in Gegenwart und in Vergangenheit aeussern, denn der stellt eine Tatsache dar, wenn auch wohl keine, von der Kenntnis zu nehmen die Bank dienstlich verpflichtet waere.

 

3.) Was die wissenschaftliche Seite der durch Ihren Prozess angeregten Fragen betrifft, so schien es uns, als ob bisher nicht alle Seiten genuegend eroertert worden waeren. Das Amt geht offenbar von der bekannten Verkehrsgleichung aus:

 

Geldmenge mal Umlaufsgeschwindigkeit = Gesamtwert der umgesetzten Gueter.

 

Wenn man sich mit dieser Gleichung begnuegt, so erscheint allerdings die Unlaufsgeschwindigkeit als ein der Geldmenge aequivalenter Faktor. Eine inflatorische Vergroesserung der Umlaufsgeschwindigkeit wirkt dann ebenso wie eine inflatorische Vergroesserung der Geldmenge. Stellt man sich gar auf den Standpunkt, dass jede Vergroesserung der Geldmenge als inflatorisch anzusehen sei, so liegt die Vermutung nahe, dass auch jede Erhoehung der Umlaufsgeschwindigkeit als Inflatorisch angesehen werden muss. Aber:

a.) das ist nur eine Vermutung,

b.) der Begriff "Geldmenge" genuegt schon seit Jahrzehnten den Anforderungen der Wissenschaft nicht mehr; er ist laengst ersetzt durch den Begriff "Zahlungsmittel". Folgende Zahlungsmittel sind zu unterscheiden:

 

·         Geld mit Zwangswert und Zwangsumlauf (Zwangskurs),

·         Waren, wenn sie an Geldes statt hingegeben oder urmittelbar ausgetauscht werden, z.B. das Deputat der Landarbeiter,

·         Guthaben von solcher Beschaffenheit, dass sie gegen Forderungen aufgerechnet werden koennen,

·         Bankguthaben und andere, die einfach den Anforderungen der SS 387 ff BGB entsprechen.

 

Nur Geld mit Zwangswert und Zwangsumlauf (wie z.Zt. die Noten der Bank deutscher Laender) kann inflationiert werden. Diese einfache, aber fundamental wichtige Wahrheit, dass nur Zwangskursgeld inflationsgefaehrlich ist, scheint seit 1914 vergessen zu sein. Seitdem allerdings der Professor Rittershausen in Koeln darauf hingewiesen hat, dringt die alte Wahrheit wieder vor. Die alte Wahrheit bedarf kaum eines Beweises. Wie will man beim schlechtesten Willen ein Geld Inflationieren, welches der Glaeubiger abzulehnen berechtigt ist??

 

Die Guthaben des "Wirtschaftsringes in Gruendung" sind nicht mit Zwangskurs ausgestattet. Schon aus diesem Grunde kann damit, auch beim schlechtesten Willen, keine Inflation getrieben werden. Es bleibt die Frage zu untersuchen, ob die Einschaltung der Guthaben als Umsatzmittel in den allgemeinen Zahlungsverkehr etwa preiserhoehend wirken kann.

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      Wenn man diejenigen Geldumsaetze, bzw. Zahlungsmittel-Umsaetze, betrachtet, denen ein gleichwertiger Gueterumsatz entspricht, (gerade der Fall bei "WIR"-Guthaben) so muss man bedenken, dass das Maximum der moeglichen Geschwindigkeit des Gueterumsatzes gleichzeitig das Maximum des Zahlungsmittelumsatzes darstellt. Ist dieses Maximum erreicht, so ist keine weitere Vergroesserung der Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel moeglich. Konstruieren wir einen Grenzfall:

      Alle Personen geben das von ihnen eingenommene Geld bzw. die ihnen zugeflossenen Zahlungsmittel sofort wieder aus, die Arbeiter z.B. ihren gesamten Wochenlohn noch am Zahltag. Da koennte es geschehen, dass die Laeden tatsaechlich binnen wenigen Stunden leer gekauft sind. In zahlreichen Faellen wird sogar folgendes vor sich gehen:

      Eine Hausfrau besteht darauf, fuer 1000 DM Waren in einem ausverkauften Laden zu kaufen. Was wird der Ladenbesitzer tun? Da er ein Geschaeftsmann ist und kein Trottel, so spricht er zu der Hausfrau: "Meine Dame, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Die 1000 DM schreibe ich Ihnen gut und gebe Ihnen eine Quittung darueber. Dann kaufen Sie mit der Quittung successive ein, so wie sie bisher eingekauft haben, und ich buche die jeweiligen Einkaufsbetraege ab. Ich bin jetzt ihrer Kundschaft in Bezug auf die 1000 DM sicher, und das ist fuer mich ein grosser Vorteil. Ich spare Werbungskosten, es verdirbt mir weniger, und ich kann en gros viel vorteilhafter einkaufen wie bisher. Dafuer gewaehre ich Ihnen einen Rabatt von xyz % (gewiss nicht weniger als 10%!). Wenn Sie Ihre Nachbarinnen dazu bewegen, ebenfalls auf Abruf zu kaufen, so gewaehre ich denen den gleichen Vorteil und Ihnen eine Provision."

     

Man koennte meinen, dass das hier dargestellte Beispiel ein Fall sei, in dem die Geschwindigkeit des Geldumlaufes groesser war als die Geschwindigkeit des Gueterumlaufes. Wenn man aber das Beispiel zu Ende denkt, so ergibt sich folgendes:

      Der Ladeninhaber uebertraegt die vereinnahmten Zahlungsmittel an einen Grosshaendler, und der uebertraegt sie an Fabrikanten und an andere Produzenten. Hier aber stockt der Zahlungsmittelumlauf bis wieder Loehne und andere Arbeitsentgelte faellig geworden sind. Beim jetzt herrschenden Einkaufssystem stockt der Zahlungsmittelumlauf beim Lohnempfaenger. Der muss sich den am Zahltag empfangenen Lohn ja "einteilen", so dass er am Ende der Lohnzahlungsperiode nicht ohne Zahlungsmittel ist. Gibt der Lohnempfaenger seinen Lohn gleich nach Empfang wieder aus, so findet die Stockung beim Arbeitgeber statt. Die unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen beobachtete Umlaufsgeschwindigkeit des Bargeldes bleibt aber alles in allem unveraendert. Seit einigen Jahrzehnten wird eine Geldeinheit in Deutschland und in den USA etwa 20-mal im Jahr ungesetzt, abgesehen von Zeiten des Krieges, der Inflation und anderer Wirtschaftsstoerungen.

      In dem Beispiel ergab sich eine Tendenz zur Senkung des Preisniveaus durch die voruebergehende Erhoehung der Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel an einer bestimmten Stelle des Wirtschaftskreislaufs. Das ist ein Beleg zu der alten Regel, dass man die Verkehrsgleichung nicht kritiklos anwenden darf. Zur kritischen Anwendung gehoert u.a. auch die Erwaegung des Widerstandes, den die Zahlungsmittel bei ihrem Umlauf vorfinden. Ein solcher Widerstand ist die von fast allen geuebte Vorsorge fuer kuenftige und auch fuer unvorhergesehene Ausgaben. Das ist ja nichts Neues.

 

      Wenn der Gesamtwert der umgesetzten Gueter im Wesentlichen unveraendert bleibt, ferner die Menge der Zahlungsmittel unveraendert bleibt, so kann die durchschnittliche Umlaufsgeschwindigkeit nicht vergroessert werden. Das ergibt sich durch eine leicht vorzunehmende Verallgemeinerung der vorstehenden Beispiele und Erwaegungen.

 

Wenn eine merkliche Menge von schwer verkaeuflichen Guetern am Markte ist und am Arbeitsmarkt viel Arbeitskraft angeboten wird, ohne dass dem Angebot eine entsprechende Nachfrage gegenuebersteht, so kann es geschehen, dass durch eine Vermehrung der Umlaufsgeschwindigkeit die "Ladenhueter" und die brachliegende Arbeitskraft mobilisiert werden. Der Preis pro Kilogramm Ware und pro Arbeitsstunde braucht dabei nicht zu steigen. Eine preissteigernde und erst recht eine inflatorische Einwirkung findet dann also nicht statt. Mir scheint, dass Ihre Organisation gerade eine solche Mobilisierung anstrebt. Um gleichzeitig eine Preiserhoehung zu bewirken muessen noch andere Umstaende gegeben sein.

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In der letzten Sitzung wurde beschlossen, eine "Sommerpause" einzulegen. Einige unserer Mitglieder sind beruflich sehr ueberlastet und dabei gesundheitlich nicht ganz auf der Hoehe. Zwischendurch aber werden wir noch einmal zusammenkommen um mit unserm Mitglied Lifka zusammen zu sein, der im naechsten Monat nach dem Westen uebersiedelt. Ich werde mir erlauben. Ihnen s. Zt. Ort und Zeit dieser Sitzung mitzuteilen fuer den Fall, dass Sie Zeit und Lust haben, daran teilzunehmen.

 

Mit bestem Gruss

U.v.Beckerath,

gez. Bth.

 

 

 

 

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First published in: Ulrich von Beckerath: Zur Freiheit, zum Frieden und zur Gerechtigkeit; Gesammelte Briefe, Papiere, Notizen, Besprechungen. PEACE PLANS 428-467 (Mikrofiche), Berrima, Australia, 1983. Pages 2958-2959.